Im Rahmen des Schnupperpraktikums begleitet Livia Strauss, die 2011 in der Stadtkirche konfirmiert wurde, 1 Woche Pfr. Hansruedi Vetsch bei seiner Arbeit. Motiviert wurde Livia Strauss durch die Lager www.campuskappel.ch von Aus- & Weiterbildung. Nun berichtet sie täglich auf Facebook und hier im Internet.
Freitag: Abschied
Heute war mein letzter Tag als «Schnupperpfarrerin». Doch darüber machte ich mir bei der Morgenandacht und bei der anschliessenden Sitzung für Mitarbeitende noch keine Gedanken. Meine einzige Sorge war : werde ich meine ersten zwei Gottesdienste überleben ? Das ist jetzt ein bisschen übertrieben, im Grunde genommen waren es nur Gebete, Lesung und Zwischenspiel mit der Klarinette während zwei kleinen Andachten in einer Alterssiedlung und in einer Altersresidenz. Gefordert war ich trotzdem. Aber zurück zum Mitarbeiterkonvent : dort konnte ich schön vor mich hinvegetieren, ein bisschen zuhören, ein bisschen nachdenken ; behandelt wurde ich jedoch wie eine von ihnen. Gegen Schluss fragte man mich sogar, ob ich etwas einzubringen hätte (vielleicht eher eine rhetorische Frage… aber lieb ist es !).
Nach einem zu Tränen rührenden Abschiedsritual – nein, nein, (heute bin ich irgendwie in Ausschweifstimmung ;-)) eher nach einem freundlichen Händeschütteln machten Pfarrer Vetsch und ich uns schliesslich auf den Weg zur Alterssiedlung. In meinen Träumen stelle ich mir manchmal vor, wie ich in einer riesigen, voll besetzten Kirche (zum Beispiel im Petersdom) den Gang entlangschreite, die hohe Kanzel hinaufsteige und dann eine atemberaubende Predigt halte. Die Realität unterschied sich dann ein winziges Bisschen : ein einfacher kleiner Saal mit einigen zusammengestellten Tischen und Stühlen und ungefähr sieben Senioren. Gleichwohl war es wunderschön. Zwischen uns herrschte eine Nähe und Vertrautheit und ich konnte direkt von ihren Gesichtsausdrücken ablesen, wie berührt sie waren von der Predigt, den Gebeten, der Musik. Mit diesen letzten Eindrücken musste ich Abschied nehmen, was mich traurig stimmte. Ich wollte diese Welt nicht verlassen.
Plötzlich habe ich eine klare Antwort auf die erste Frage dieser Woche, nämlich, wie ich das Beste aus meinen Begabungen machen kann. Ich möchte Menschen berühren, sei es durch Musik, Gespräche, Gebete, Predigten oder mit diesen Texten. Und nach dieser Woche sehe ich auch, dass ich mit dem Pfarrberuf genau diese Möglichkeit hätte. Darum ist es höchstwahrscheinlich nur ein vorläufiger Abschied.
Erkenntnis des Tages : Pfarrer sein heisst Menschen in ihrem Innersten berühren zu können.
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Donnerstag: Wunder & andere alltägliche Begebenheiten
Das erste Wunder (oder vielleicht bezeichnet man es doch besser als alltägliche Begebenheit) war, dass ich nicht eingeschlafen bin bei der frühmorgendlichen Pastoralsitzung. Damit will ich nicht sagen, dass die Pfarrer und die Pfarrerin langweilig sind, im Gegenteil. Sie haben einfach wahnsinnig viel zu organisieren und zu diskutieren. Der Grund war ganz einfach, dass ich gestern noch bis in die Nacht hinein an « Ein freier Tag ? » geschrieben hatte. Aber wie gesagt konnte ich mich wachhalten. Glücklicherweise, denn sonst hätte ich nicht gemerkt, dass auch Pfarrer menschliche Bedürfnisse wie Ferien haben (sie diskutierten ziemlich ausführlich darüber, wer sich wann Ferien nehmen kann).
Ein wenig später sass ich bei einem älteren Ehepaar mit einer Tasse Grüntee im gemütlichen Wohnzimmer und hörte mir wundervolle Erzählungen an vom Kinderwerk Lima (für Interessierte :
www.kinderwerk-lima.ch). Sie wohnten und arbeiteten während einigen Jahren dort und seither sind sie so fasziniert von Peru und dem Kinderwerk, dass sie immer noch regelmässigen Kontakt pflegen und von der Schweiz aus für das Kinderwerk arbeiten. Und als ich erfuhr, was mit diesen Schulen (mittlerweile gehören sie zu den besten in Peru und Paraguay) erreicht worden war – gute Ausbildung, Nahrung und Pflege für arme Kinder, lang anhaltende Beziehungen, manchmal sogar eine Brücke zwischen Arm und Reich –, dann würde ich schon sagen : ein Wunder.
Auch im Religionsunterricht der Sekundarschule, den ich besuchen durfte, sprachen wir über Wunder. Genau genommen über den Nahrungsverzicht vom Heiligen Bruder Klaus, über den ich in der Bruderklausen-Kapelle einen Vortrag hielt. Für manche Schüler war das Thema abgeschlossen mit « das kann ja gar nicht sein » und für andere fing es damit erst an. Was ist denn überhaupt ein Wunder ? Etwas, was wir nicht erklären können ? Viele Menschen denken dann aber, dass nur Heilige Wunder erleben können, oder besonders Fromme. Das finde ich schade. Würde man es nicht besser definieren als etwas, was uns positiv überrascht ? Als etwas, was wir alle im Alltag erleben können – wenn wir dafür offen sind ?
Erkenntnis des Tages : Seien wir offen für alle grossen und kleinen Wunder und lassen wir uns dadurch das Leben bereichern und verschönern !
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Mittwoch: Ein freier Tag ?
Eigentlich hat Pfr. Hansruedi Vetsch am Mittwoch frei. Eigentlich. Und darum schreibe ich jetzt auch nicht viel. Denn eigentlich ist das dann ja auch mein freier Tag. Er fing wieder einmal mit Musik an (wie ihr vielleicht bemerkt habt, spielt sie eine wichtige Rolle in meinem Leben), nämlich mit « Singe mit Chind », einer von der Kirchenmusikerin geleiteten Sing- und Erzählstunde für Eltern und Kinder. Wir suchten Kühe, fuhren mit dem Schiff, wurden verregnet und ich wollte am liebsten auch wieder drei sein und mitspielen… Ok, vielleicht doch nicht, dachte ich, als ein Mädchen für unser Videoprojekt gefilmt wurde und sich verängstigt hinterm Mami versteckte, um nicht in die Kamera sprechen zu müssen. Wenn ich (als doch eher ängstliche Person) mir vorstelle, welche Bedrohungen ein Kind durchstehen muss, dann bin ich froh, schon etwas älter zu sein.
À propos durchstehen : dieser « freie » Tag war noch lange nicht durchgestanden, auch wenn er nicht ganz so beängstigend war. Ich lernte, wie man Seelsorge macht. Das heisst, ich bekam eine Kurzeinführung. Und dabei dachte ich immer, ein Pfarrer gehe einfach mal zu den Leuten, stelle Fragen und höre ein bisschen zu. Falsch gedacht : Seelsorge ist eine hochkomplexe Angelegenheit, denn schliesslich geht es um eine Seele. Man kann deren Sorgen entweder systematisch, lösungsorientiert oder klinisch angehen – doch wenn das jetzt zu kompliziert ist, dann kann ich das verstehen. Schliesslich ist heute mein freier Tag.
Erkenntnis des Tages : Im Pfarramt ist das Wort « frei » relativ.
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Dienstag: Kann Gott lachen?
Die Frage, ob Humor in der Bibel Platz hat, war das Erste, was uns (das heisst Haru und mich) heute beschäftigte. Die Antwort kam aus « Kleines Lexikon christlicher Irrtümer » und die Erkenntnis war erscheckend (wenn auch nicht ganz unerwartet) : kein einziges Lachen weder von Gott noch von Jesus ist überliefert. Wenn man Humor aber als Augenöffner sieht, so hat Christus mit seinen vielen Gleichnissen durchaus etwas Humorvolles an sich. Es wäre ja auch irgendwie komisch, wenn er derbe Sprüche von sich gegeben hätte - das würde nicht zu seinem Bild passen. Oder könnte es sein, dass wir ganz einfach den damaligen Humor nicht verstehen ? Fröhlichkeit aber war sicher eine Eigenschaft von Jesus, er feierte ja gerne und wenn es sein musste, wandelte er auch mal Wasser in Wein um.
Dass Lachen, sowie Spielen und Spass wichtige Teile der Kirche ausmachen, erfuhr ich auch beim Gespräch mit einer Katechetin und Kinder- und Jugendarbeiterin. Für sie ist Glauben ausgelebte Liebe und Begegnungen mit Menschen ; sie will die Kinder spüren lassen, was es heisst, einander zu vertrauen und sie nicht Dogmen auswendig lernen lassen. Gibt es etwas Besseres, als jemand, der schon 20 Jahre Erfahrung hat und immer noch so engagiert ist ?
Was mich dann aber wirklich vom Hocker gehauen hat (obwohl ich stand. Nicht so wichtig, aber ich mag diesen Ausdruck ;-)), war der Film « Der achte Tag », den wir im Konfirmationsunterricht schauten. Er handelt von George, einem Menschen mit Downsyndrom und von einem wichtigen Bankier, die sich treffen, ihre Leben vollkommen durcheinander bringen und schliesslich beste Freunde werden.
Am Achten Tag Vorfilm
Das Lachen von George (z.B. bei 0:43) werde ich nie mehr vergessen. Und jetzt verstehe ich auch, warum kein lachender Jesus übertragen worden ist : solch ein von Herzen kommendes Lachen kann man nicht beschreiben, das muss man erleben.
Meine Erkenntnis des Tages : Ein aufrichtiges, herzliches Lachen ist göttlich. Auch wenn es nicht in der Bibel steht.
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Montag: Menschen suchen
Mit diesem Teil aus dem (noch nicht ganz offiziellen) Motto der Kirchgemeinde Frauenfeld begann mein Tag. Voller Vorfreude und mit einer Spur Nervosität (und ein bisschen müde, denn es war Montagmorgen um halb acht) betrat ich das Kirchgemeindehaus – und suchte vergeblich nach Menschen. Vorsichtig zündete ich das Licht an und sah sogleich meine Rettung : ein Klavier. Ich würde einfach so lange Klavier spielen, bis jemand kommt und wenn nicht, auch egal. Leider kamen die anderen aus der « Mottokommission » bald. Nein, eigentlich nicht leider, denn Grafiken aussuchen machte richtig Spass. Die anderen hatten schon viel Vorarbeit geleistet, heute mussten wir nur noch zwischen den schönsten Grafiken die am besten passendste erkennen. Schliesslich entschieden wir uns für eine peppige Form, die der Kirche neuen Schwung verleihen sollte. Oder so.
Aber wieso braucht eine Kirche überhaupt ein Motto ? Konnten wir nicht gut ohne leben ? Ist das nicht Werbung ? Dies fragte ich mich zu Beginn, doch mir wurde schnell klar, dass es um mehr geht. Das Motto soll der Gemeinde Zusammenhalt geben, zum Nachdenken anregen und ein Leitfaden durchs Leben sein. Ob das wohl funktioniert ? Ich wünsche dem Motto auf jeden Fall viel Kraft und Durchhaltevermögen, denn es hat eine grosse Aufgabe vor sich…
Welch wichtige Stellung die Büroarbeit einnimmt, erfuhr ich ebenfalls beim stundenlangen Zusammenstellen von Taizéliedern für die Nacht der Lichter. Niemals hätte ich gedacht, dass Zusammenlegen, Tipexlen und Kleberlen einen so wichtigen Teil des Pfarramts ausmacht (obwohl der Pfarrer heute abend extrem erleichtert war, weil es « so schnell » gegangen war…). Ich hatte die Arbeit auch bezüglich Genauigkeit völlig unterschätzt : der Ablauf der Nacht der Lichter ist auf die Minute genau geplant ; korrigiert wird nur mit Computer oder Schnipseln, nicht von Hand ; auf jede kopierte Seite wird eine Seitenzahl gestempelt (nicht ganz unnötig, denn so fand ich heraus, dass unser Heft auf fast hundert Seiten kommt !). Diese Exaktheit zeigt, wie wichtig es ist, dass die Kirche professionell, vertrauenswürdig und den Menschen entgegenkommend wirkt. Gleichzeitig ist es für den Pfarrer entspannend, einen Tag der Büroarbeit zu widmen, dabei ein bisschen seinen Gedanken nachzuhängen und hin und wieder ein Lied abzuspielen. Und somit endet der Tag, so wie er (nach einer kurzen Menschensuche) angefangen hat : mit Musik.
Meine Erkenntnis des Tages : Ein Pfarrer ist auch nur ein ganz normaler Büroarbeiter. Zumindest an manchen Tagen.
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Sonntag: Erntedank, Ökumene und 101 Gesichter
Wie kann jeder das Beste aus seinen Begabungen machen ? Wie bringt man 101 Menschen jeden Alters auf ein paar Minuten Film ? Was ist eigentlich Ökumene und wie kann man sie umsetzen ? Diese Fragen beschäftigten mich heute an meinem ersten Schnuppertag im Pfarramt. (Für alle, die es nicht wissen : ja, ich habe vor, Theologie zu studieren und vielleicht Pfarrerin zu werden. Und nein, ein Pfarrer ist weder realitätsfremd noch abgoben, weder unnötig noch veraltet. Zumindest meistens ;-).)
Auf jeden Fall ging ich am Morgen wie immer (oder besser : wie manchmal) in die Kirche und beobachtete das normale Gemeindeleben. Den herbstlich verzierten Altar, die herzlichen Begrüssungen unter den regelmässigen Kirchengängern, die etwas unsicheren Blicke der sporadischen Kirchengänger. Den Gottesdienst liess ich entspannt an mir vorbeiziehen ; die Einsätze der Konfirmanden zum Thema Handwerk so wie die Predigt mit der Aussage, dass wir alle von unseren Gaben profitieren sollten, packten mich. Sollten wir nicht unsere Mitmenschen mehr für ihre Talente bewundern, statt sie zu beneiden oder ihre Fehler zu suchen ? Viel besser ist doch, wenn wir die Vielfalt von Persönlichkeiten, Talenten, Aussehen und Alter schätzen. Und genau dafür wird ein Filmprojekt gestaltet, in welchem 101 Leute aus unserer Kirchgemeinde, jeder mit einer bestimmten Alterszahl von 0 bis 100, ihr Alter sagen. Nur das.
Für die Förderung des Dialogs zwischen katholischer und reformierter Kirche hatte ich am Nachmittag die Möglichkeit, eine katholische Messe zu besuchen. Dabei muss ich gestehen, dass (auch nach einer intensiven Romreise, wo ich alle sieben, natürlich katholischen, Wallfahrtskirchen besucht hatte) einfach jedes Mal eine leichte Angst in mir sitzt, ich als Reformierte könnte bei den katholischen Ritualen etwas falsch machen. Ein falsches Wort, Aufstehen an der falschen Stelle, und der Höhepunkt : das Abendmahl (da ist die Wahrscheinlichkeit für einen Patzer, der mich als Nichtkatholische enttarnt, am grössten). Aber das lernt man bestimmt, wenn man häufig in die Messe geht. Wenn man von aussen schaut, fragt man sich, warum die Ökumene als so schwierig empfunden wird, doch das Konfliktpotenzial ist hoch. Ist es vor allem das Denken in festgesetzten, von den Konfessionen vorgegebenen Schemen ? Ich weiss es nicht.
Jedenfalls war heute ein sonniger Tag für die Ökumene : der Priester sprach über die zwischenmenschliche Liebe als Glaube und über die Einigkeit zwischen Gott und uns sowie zwischen uns Menschen. Antwort auf die Umsetzung dieser ökumenischen Grundsätze blieb jedoch offen.
Meine Erkenntnis des Tages : Schätzen wir unsere individuellen Unterschiede, die uns einzigartig machen und versuchen wir gleichzeitig, uns in unserer Verschiedenartigkeit zu tolerieren.
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Weiter Infos:
Wer, wie Livia Strauss, auch einmal einen Tag oder eine Woche den Pfarralltag schnuppern möchte ist herzlich eingeladen, sich
bei einer Pfarrperson zu melden.
Die Schnupperwoche wird organisiert vom schweizerischen
Konkordat für Aus- & Weiterbildung der Pfarrrpersonen
Nächstes Jahr im Sommer gibt es wieder eine spannende Lagerwoche
www.campuskappel.ch
Informationen zum Theolgiestudium gibt gerne der Ausbildungspfarrer oder
die Website