Editorial September-Kirchenbote

Katze (Foto: Andreas Bänziger)

Katze (Foto: Andreas Bänziger)

Eine Katze -

Wenn ich durch das Fenster vor meinem Schreibtisch blicke, dann sehe ich ab und zu eine Katze, die auf der Gartenmauer spaziert. Manchmal kommt sie zum Fenster, setzt ihre Vorderpfoten auf den Fenstersims und guckt neugierig durch die Fensterscheibe. Die Katze gefällt mir. Sie hat ein glänzendes, schön getigertes Fell. Sie gehört vermutlich jemandem aus der Nachbarschaft.
Pfr. Ernst Gysel,
Ich frage mich: Was veranlasst Menschen, eine Katze zu halten, sie zu füttern und zu pflegen ? Die Katzen bringen ja keinen direkten Nutzen wie die Nutztiere, wenn man einmal davon absieht, dass eine Katze vielleicht ab und zu eine Maus fängt, die sich hinter die Vorräte machen will. Wie kommt es, dass viele Kleine und Grosse Katzen gern haben, auch wenn sie sozusagen Faulenzer und Nichtsnutze sind ? Vielleicht ist es die Grazie und Schönheit der Katze, die vielen gefällt. Vielleicht ist es auch die Unabhängigkeit, die zum Wesen der Katzen gehört. Katzen lassen sich nicht dressieren wie Hunde. Aber sie lassen sich verwöhnen und streicheln, wenn sie nicht verängstigt wurden. Und sie beantworten dies, indem sie sich anschmiegen oder sanft schnurren. Sie können etwas, was viele Menschen nicht mehr können: Sie zeigen ihre Gefühle. Und sie geniessen das Leben. Wenn sie müde sind, legen sie sich hin. Sie suchen sich einen Platz, der ihnen behagt und ruhen sich aus. Und wenn sie den Drang verspüren, sich zu bewegen, dann stehen sie auf. Sie streifen umher und machen Jagd auf Beute. Sie sind in ihrer Art vollkommen und ganz, so wie Gott sie geschaffen hat.

Die Katze kann uns so in gewisser Weise zum Vorbild werden. Es geht in unserem Leben darum, dass wir selber ganze und vollkommene Menschen werden. Jesus hat zu seinen Jüngern gesagt: "Ihr nun sollt vollkommen sein, wie euer himmlischer Vater vollkommen ist" (Matth.5,48). Ein vollkommener Mensch ist nicht einer, der in moralischem Sinn perfekt und vollkommen ist. Ein vollkommener Mensch ist einer, der zu Gott, dem Vater, und auch zu sich selber gefunden hat. Er läuft nicht mehr vor sich selber weg. Er kann sich so sehen und annehmen, wie Gott ihn sieht: Ein unvollkommener Mensch mit Fehlern und Gebrechen, der gerade so von Gott angenommen und geliebt ist. Er ignoriert die dunklen Seiten seiner Person nicht mehr. Er hält sie Gott hin und versucht, sie auszuhalten. Ein Mensch, der in diesem Sinne ganz ist, kreist nicht mehr um sich selbst, sondern er kann sich aus der Mitte heraus den Anforderungen des Lebens stellen und sich des Lebens freuen.

Freundlich grüsst Sie Pfarrer Ernst Gysel
Bereitgestellt: 01.09.2008      
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